26. Januar 2020
Paris hat die Metro, Wien die Fiaker-Kutschen und San Francisco die Cable Cars. Trier hat den Römer-Express. Dieses Bimmelbähnchen sieht aus wie eine ungeplante Kreuzung aus Lukas’ und Jim Knopfs „Emma“ und „Thomas“, der kleinen Lokomotive. Der Römer-Express ist sozusagen die Promenadenmischung unter den Märchenlokomotiven.
„Bist du schon mit dem Römer-Express gefahren?“, frage ich den Herrmann.
„Kein Trierer fährt mit diesem Bähnchen.“
„Wieso nicht? Ist man in Trier nicht froh, dass hier überhaupt noch Züge verkehren?“
„Trierer fahren nicht mit dem Römer-Express“, bleibt der Herrmann ernst, „weil sie die Fahrtstrecke kennen.“
„Was soll das denn heißen?“
„Du hast es so gewollt. Komm mit!“
Kurz darauf stehen wir vor der Porta an der Römer-Express-Haltestelle, und aus Herrmanns Gesicht lese ich, dass wir nicht zum Spaß hier sind. „Für neun Euro pro Person“, versucht er mich zu warnen, „sehen wir in 35 Minuten Fahrt zwei Tankstellen, mehrere Hauptverkehrsstraßen, ein Krankenhaus sowie diverse Burger-Restaurants.“
Und wer sagt, dass das keinen Spaß machen kann? Wir sitzen im letzten Express-Wägelchen ganz hinten, wo es durch eine undichte Stelle reinregnet. Die Plexiglasscheiben haben schon bessere Zeiten gesehen und fügen sich wunderbar in das Antiken-Design der Umgebung ein. Überhaupt macht die Bimmelbahn von innen den Eindruck, als stamme sie aus der Römerzeit. Nein, das ist ungerecht. Die meisten Römerbauten in Trier befinden sich in einem besseren Zustand als diese Dieselruine auf Rädern. In der Sitzlehne vor uns sehe ich ein faustgroßes Loch, und überhaupt lassen etliche ramponierte Stellen in der Innenverkleidung die – sicherlich falsche – Vermutung aufkeimen, hier habe ein Kegelklub aus dem Nordsaarland oder der Südeifel randaliert.
Dennoch ist die Stimmung bestens. Und das, obwohl keine Kinder mitfahren, sondern ausschließlich erwachsene Paare (vielleicht verströmt der Römer-Express eine romantische Aura, die Herrmann und ich bisher nicht wahrgenommen haben).
Ich hatte angenommen, der Römer-Express sei ein Vergnügen, das man den Kleinen gönnt, wenn man sowieso in Trier ist. Aber in unserem Abteil sind, wie gesagt, nur gutgelaunte Erwachsene, die aufgeregt durcheinanderreden. Wir hören Saarländisch, Pfälzisch, Sächsisch, sogar Hochdeutsch, Niederländisch und Englisch. Letztere drei Sprachen plärren auch aus den Lautsprechern. Während der Fahrt werden Erläuterungen zunächst in Deutsch eingespielt, dann folgt, leicht gekürzt, die niederländische Ansage, und schließlich gibt es noch eine Ultrakurzversion auf Englisch.
In der Praxis sieht das so aus, dass während der Vorbeifahrt an der Porta dieselbe auf Deutsch kommentiert wird. Die holländischen Fahrgäste müssen sich schon nach dem römischen Stadttor umschauen, wenn sie sehen wollen, wo sie eben vorbeigekommen sind. Und dann bleibt, wenn der Express fast schon in die Sichelstraße einbiegt, kaum noch Zeit, auf Englisch nachzuschieben, was diejenigen gerade verpasst haben, die nur die Weltsprache verstehen. Manchmal wechselt bei den fremdländischen Kommentaren die Reihenfolge, ich habe jedoch den Eindruck, dass die englischen Kurzfassungen stets noch kürzer sind als die niederländischen.
Als Trierer freut sich der Herrmann darüber, einmal in Ruhe an der „Blauen Lagune“, der berühmtesten Trierer Tankstelle, vorbeikutschiert zu werden. Wann fährt man schon mal, wenn man mit dem Auto unterwegs ist, im Schritttempo an der Schellenmauer vorbei Richtung Meerkatz und Roten Turm (vielleicht sagen Sie jetzt: während der Hauptverkehrszeiten eigentlich immer; aber dann müssen Sie sich auf die anderen Stauteilnehmer konzentrieren und können nicht entspannt den Blick schweifen lassen).
Sobald wir auf den Domfreihof fahren, ertönen aus unserem Abteil „Oohs“ und „Aahs“ in verschiedenen Akzenten, vermutlich weil alle denken, ab jetzt ginge die Fahrt durch die historische Altstadt. Aber der Römer-Express wendet und zeigt, nachdem Weberbachstraße und Südallee passiert wurden, dass Trier mehr zu bieten hat als Römerbauten und Kathedralen: nämlich eine große Durchgangsstraße direkt an der Mosel. Schade, dass man von dort, wo wir entlangfahren, die nur wenige Meter entfernte Mosel nicht sehen können. Auf der weiteren Fahrt erfahren wir (auf Deutsch, Englisch und Niederländisch), was wir bei dieser Tour sonst noch verpassen: Leider dürfen wir mit dem Bähnchen nicht auf den Hauptmarkt und zu Sankt Gangolf (dessen Turm wir im Vorbeifahren immerhin über den Dächern herausragen sehen). Vom Tonband wird uns dringend empfohlen, sich den Hauptmarkt nach Fahrtende noch zu Fuß anzusehen, ebenso wie die gar nicht weit entfernte Paulinkirche.
Inzwischen reicht das holländische Ehepaar eine Flasche Genever herum, was bei den Briten und den Pfälzern offensichtlich ein weitaus größeres Interesse hervorruft, als die durch den Lautsprecher verkündete Tatsache, dass Trier um 1848 eine Hochburg der Radikalen war (der damalige preußische Oberpräsident nannte Trier „den schlimmsten Punkt der Provinz“). Diese Information geht, da nun auch das sächsische Paar den hochprozentigen Genever kostet, genauso unter wie die unerwähnt bleibende Tatsache, dass wir gar nicht arg weit entfernt an der umstrittenen bronzenen Marx-Statue vorbeifahren. Als der Genever zum zweiten Mal die Runde durchs ramponierte Abteil macht, ist die Stimmung, und mit ihr die positive Wahrnehmung der alten Römerstadt, allerbestens.
Als wir schließlich wieder an der Porta vorfahren, wo die nächsten Fahrgäste warten, haben sich die Holländer mit den Briten zum Mittagessen verabredet. Die Saarländer schließen sich, obwohl sie erst kurz vor der Rundfahrt das zweite Frühstück inklusive Weinprobe hinter sich gebracht hatten, der internationalen Gruppe an. Die Pfälzer und Sachsen beschließen, die auf der Römer-Express-Tour empfohlenen Sehenswürdigkeiten, die man nur per pedes erreicht, gemeinsam zu erkunden. Und so verwundert es nicht, dass die nächsten Römer-Express-Gäste den Eindruck bekommen, dass ihre Vorgänger Spaß gehabt haben auf der Fahrt. Hatten wir ja auch, selbst wenn das nicht unbedingt an der Route, den Lautsprecheransagen oder dem etwas zu üppigen Fahrtpreis liegt. Aber zur lockeren Anbahnung von Erstkontakten mit in- und ausländischen Tagestouristen ist das Trierer Bimmelbähnchen zweifellos ein Geheimtipp.
Nachtrag: Wie der Backes Herrmann mir sagte, gilt die Konzession für den derzeitigen Betreiber nur noch bis Ende April 2020. Ab dem 1. Mai wird der Express dann entweder von den Trierer Stadtwerken auf Tour geschickt, oder es gibt zwei parallele Bähnchen. Egal wer den Römer-Express betreibt und gleich welche Neuerungen ab Sommer 2020 eingeführt werden, eins sollte unbedingt unverändert bleiben: Bitte erlaubt an Bord weiterhin das uneingeschränkte Herumreichen landestypischer Alkoholika!