Beichtgelegenheitsmisere wegen Personalmangels
Neulich habe ich gesündigt. Es tut nichts zur Sache, worin meine Verfehlung bestand, nur so viel, es handelte sich um eine lässliche Sünde. Jedenfalls erinnerte ich mich bei der Gelegenheit an meine katholische Sozialisation und dachte: Mensch, du könntest doch mal wieder beichten gehen! Ich bin zwar aus der Übung – das letzte Mal habe ich vor mehr als 40 Jahren das Sakrament der Lossprechung von meinen Sünden empfangen –, aber mit dem Beichten ist’s wie mit dem Radfahren: Das Gefühl dafür verlernt man nicht.
Gerne erinnere ich mich daran, wie ich als (Beicht-)Kind bei kleineren Sünden, die mir durchaus auf der Seele lasteten, einen Deal mit Gott und Pastor machte: Ich vollzog regelmäßig das Ritual der Beichte, bekannte ein überschaubares, im Wesentlichen gleichbleibendes Sünden-Portfolio und konnte dabei, wenn ich mich an den harmloseren der zehn Gebote entlang hangelte, recht theoretisch bleiben: „Meine letzte Beichte war vor acht Wochen. Ich habe genascht, ich habe geflucht, ich habe Vater und Mutter nicht geehrt, ich habe bei Klaus-Peter in Mathe abgeschrieben“ und ähnlicher Kram.
Herrgott, wenn ich jetzt darüber nachdenke, wird mir klar, wie reizarm meine Jugend gewesen sein muss. Mit dem Einsetzen der Pubertät kam immerhin noch „Ich hatte unkeusche Gedanken“ dazu, aber eben nur: Gedanken. Glücklicherweise hakte unser Pfarrer beim unkeuschen Teil nicht genauer nach, sondern verdonnerte mich zur Buße regelmäßig zu drei Vaterunser und fünf Ave-Maria. Danach war das Sündenkonto wieder auf null, und ich konnte von Neuem munter drauflosverfehlen.
Ich schäme mich nicht zu bekennen, dass ich nach meinen allerersten Beichten die naive Vorstellung hatte, meine Seele sei so weiß wie ein frischgewaschenes Bettlaken, das meine Oma über die Wäscheleine hängte. Ich war dann mit Gott und mir im Reinen – für eine Zeit lang zumindest. Beichten war also im Grunde eine prima Sache und für ein paar Ave-Marias recht preisgünstig.
Ob sich das wieder auffrischen lässt? Früher gab es doch regelmäßige Beichtstunden in unserer Dorfkirche. Da ging man einfach hin, setzte sich zu den anderen Sündern, hörte von der einen Seite ein unverständliches Gemurmel aus dem Beichtstuhl und von den Kirchenbänken zur anderen Seite: „GegrüßetseistduMariavollderGnade …“
Ich erkundigte mich also, wann in unserer Kirchengemeinde feste Beichtstunden angeboten werden, und musste erfahren: überhaupt nicht mehr. Wegen Fachkräftemangels. Sollte das Sündenvergeben nicht eine der Haupt-Serviceleistungen in dem Angebotspaket sein, für das ich Kirchensteuer zahle? Die Basis-Fegefeuer-Versicherung sozusagen?
Anstelle der klassischen Beichte, so erfuhr ich im elektronischen Pfarrbrief unserer Gemeinde, werden jetzt sogenannte Beichtgespräche angeboten. Aus der Ankündigung ging nicht eindeutig hervor, ob diese Beichtgespräche vom sakramentserteilungsfähigen Profi durchgeführt werden oder von engagierten Laien. Die müssen’s heutzutage ja meistens richten. Letztlich wäre es mir egal, ob Kleriker oder Laie, Hauptsache besagter Wäscheleineneffekt stellt sich wieder ein. Als ich genaue Zeitangaben suche, lese ich jedoch: „Da die angegebenen Beichtgesprächszeiten zuletzt nicht genutzt wurden, bieten wir diese auch nicht mehr an. Wer trotzdem ein Beichtgespräch wünscht, kann dies gerne mit dem Pfarrverwalter vereinbaren.“ Für feste Beichtzeiten beim Lossprechungs-Spezialisten müsste ich in die nahegelegene Bischofsstadt fahren. So ähnlich, wie wenn ich einen Facharzt aufsuchen will.
Verdammt. Und wer vergibt mir jetzt meine Sünden? Ich sehe ein, dass ich an der Beichtgelegenheitsmisere mit schuld bin, ich hätte vielleicht doch wenigstens einmal pro Jahrzehnt das Beichtgesprächsangebot nutzen sollen. Wenn niemand mehr zum Arzt ginge, müsste der auch irgendwann dichtmachen.
Ob Gott auch ohne Zwischenhändler Sünden vergibt? Gibt’s einen Zeitrabatt fürs Fegefeuer, wenn ich meine Verfehlungen im stillen Gebet bekenne? Fünf Ave-Marias schöbe ich dafür gerne hinterher. Oder ich sündige ab jetzt nicht mehr. Obwohl: Wozu bin ich denn Katholik? Falls irgendwer mich doch noch von meinen Sünden losspricht, sollte ich meinen Verfehlungs-Kreditrahmen unbedingt ausschöpfen.