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Es lebe das Schrottwichteln

17.12.2021

Der fragwürdige Brauch lässt sich gerade auch schön in der Politik beobachten

ie Zeit des Wichtelns naht wieder. Leider. Die Königsdisziplin dieses Brauchs finde ich besonders fragwürdig: das Schrottwichteln. Die Grundidee hierbei besteht darin, irgendwelche Gegenstände, die man noch nie mochte, einfach weiterzuverschenken und dafür etwas zu bekommen, was jemand anderes ebenfalls nicht mehr im Haus haben will. Es gibt Leute, die finden das lustig. Leute in meinem Bekanntenkreis.

So bin ich voriges Jahr den röhrenden Hirsch aus Holzimitat losgeworden, den mir Tante Hertha mal zu was weiß ich welchem Anlass geschenkt hatte. Jetzt ist die Tante alt, gehört zur vulnerablen Risikogruppe, kommt nicht mehr zu Besuch und kann folglich nicht kontrollieren, ob ich ihren Hirsch auf dem Regal noch entstaube.

Gekriegt habe ich dafür einen erzgebirgischen Nussknacker, der beim Knacken den Unterkiefer schräg aushakt. Was hat man da gewonnen? Und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich Tante Herthas Hirsch dieses Jahr beim Wichteln wieder zurückkriege, wie 2018 schon einmal.

Einigermaßen originell finde ich dagegen noch das Spirituosen-Wichteln. Dabei werden alkoholische Getränke in die Tauschparty eingebracht, die im eigenen Haushalt seit Jahren niemand angerührt hat. So bin ich einmal eine Flasche klebrigen Eckes Edelkirsch losgeworden, musste dafür aber einen original Verpoorten Eierlikör aus den späten 70ern einstecken. Eine klassische lose-lose-Situation.

Und jetzt auch noch dieses Schrottwichteln in Berlin. Ja, ich weiß, das klingt nach großem Gedankensprung. Aber ist das wirklich so weit hergeholt? Ich gebe dir den „eventuellen Kohleausstieg idealerweise so um 2030″, dafür kriegst du das „höchstgeschwindigkeitsfreie Rasen auf der Autobahn“. Oder: Okay, ich nehme den „institutionalisierten Dialog: Weidetierhaltung und wachsende Wolfspopulation“ (Koalitionsvertrag S. 38), dafür gebe ich dir den „Erörterungsanspruch für Beschäftigte in ländlichen Regionen über mobiles Arbeiten und Homeoffice“ (ebd. S. 69). Wenn ich einen Nussknacker wichtele weiß ich, wofür der gut sein soll – falls er noch funktioniert. Aber was genau mache ich mit einem Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten?

Streng genommen läuft das Schrottwichteln jetzt auch beim Stühlerücken in den Ministerien: Wir räumen den imagemäßig etwas angestaubten Andreas Scheuer aus dem Regal, dafür kümmert sich jetzt der Wissing um den Autoverkehr. Annalena Baerbock kriegt das Außenministerium, dafür wird Cem Özdemir die neue Julia Klöckner? Hat Özdemir denn Ahnung von der Schweinezucht oder dem Weinbau? Ist der nicht eigentlich ein hochgeschätzter Experte für den Bereich Auswärtiges? Aber dieses Amt hat ja schon Baerbock gewichtelt und musste dafür den Vizekanzlerinnenposten weitergeben.

Das zeigt: Wo immer gewichtelt wird, kriegt man meistens nicht, was man sich gewünscht hat. Apropos wünschen: Spahn konnte weggewichtelt werden, aber wollten wirklich alle (in der SPD) stattdessen einen Lauterbach? Ich will damit keinesfalls andeuten, die Ministerien für Landwirtschaft oder Gesundheit seien die Eier- und Kirschliköre der deutschen Politik, nun ja, nicht zwangsläufig jedenfalls.

Auch innerhalb der Parteien wird ordentlich schrottgewichtelt: Der Laschet zum Beispiel hat ausgedient, auf dem Wichteltisch finden christdemokratische Parteimitglieder dafür einen Merz, Röttgen oder Braun. Das ist Schrottwichteln in Reinkultur: Man weiß nicht so recht, ob man sich über eines der Stücke, die man kriegen könnte, freuen soll, ist aber einigermaßen froh darüber, dass man den röhrenden Plastikhirsch losgeworden ist. Obwohl: Ein bisschen vermisse ich den ollen Staubfänger von Tante Hertha nun doch irgendwie. Übrigens, wer von den drei CDU-Parteichef-Wichtel-Angeboten der Hirsch oder der kaputte Nussknacker ist, dürfen Sie selbst entscheiden.

Ach so, hätte ich fast vergessen: Die Merkel ist weg. Wir haben dafür Olaf Scholz bekommen – ja, manchmal kommt etwas Unverhofftes beim Wichteln raus. Und, ist Scholz jetzt sowas wie ein jahrelang verschmähter Kirschlikör? Das vermag ich nicht zu sagen, nur soviel weiß ich: Beim Spirituosen-Wichteln hab ich noch nie einen ordentlichen Malt Whisky abgekriegt.

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